Okzitanische Sonne im Toggenburg
LICHTENSTEIG. Endlich war sie wieder einmal im Toggenburg zu erleben: «Musique Simili» spielte am vergangenen Samstag vor fast ausverkauftem Haus im Chössi-Theater in Lichtensteig. Mitgebracht hatte das Trio neue Lieder und die Wärme aus Okzitanien.
MICHAEL HUG, Tagblatt 04.12.12
Das lässt sich der Fan von charmanter Zigeunermusik nicht entgehen: «Musique Simili» mit Juliette Du Pasquier, Marc Hänsenberger und der immer wieder höchst emotionellen Französin Line Loddo. Die internationale Zusammensetzung spiegelt was «Musique Simili» auf der Bühne bietet, nämlich die Musik der (europäischen) Zigeuner, hergeholt aus Rumänien, Ungarn und Süd- und Westfrankreich, dem vergessenen Okzitanien zwischen Nizza und Bordeaux. Das tönt nach Sonne und Wärme, und so war's dann auch. «Musique Simili» vertrieb mit wärmenden Liedern, ob traurig oder heiter, für zwei Stunden die Toggenburger Eiseskälte.
Weltoffenheit und Tradition
«Musique Simili» zeigte am vergangenen Samstag mit seinem neuen, emotionell-melancholischen Liederabend «Nomades» Weltoffenheit und Tradition, aber auch überschäumende Lebenslust, gepaart mit einem kräftigen Schuss ironischer Clownerie und einem wechselvollen Spiel von Licht und Schatten. Ständig liess es das Licht reduzieren um es dann, der Sonne des Südens gleich, hell und brennend strahlen zu lassen. Die Musiker agierten vor und hinter einer Kulisse, ein Nomadenzelt stilisierend, liessen einen Sandsturm toben oder den Regen willkommene Kühle bringen.
Nomadengleich zog man von Lied zu Lied, von Ort zu Ort, nach fast jedem Stück wechseln die Instrumente in andere Hände, jeder und jede beherrscht auch des anderen Geige, Kontrabass oder Klavier. Nur das Akkordeon blieb bei Hänsenberger, dem ruhenden Pol des (musikalisch) weitreisenden Trios, der sich abwechselnd auch ans Klavier setzte. Nur die Bügelfalten an seinen topmodischen Hosen mochten nicht ganz zum Outfit eines Nomaden passen.
Spiel mit Understatement
Das illustre Ensemble spielt bewusst mit Understatement. Da kratzen manche Töne auf der Geige und Loddo singt mit brüchiger Stimme. Das schweizerisch-französische Trio bietet nicht die Nouvelle Cuisine Frankreichs, sondern ein duftend herbes Kräuterfrühstück, in dem da und dort der trockene Stiel eines Rosmarinzweigs in die Zahnlücken gerät. Die Sprache der Okzitanen – die Line Loddo als Südfranzösin natürlicherweise beherrscht – ist kein distingiertes Idiom, sondern viel mehr die volksnahe, rauhe Ausdrucksweise der einstigen Katharer im Süden Frankreichs. Sie strotzt vor Leidenschaft und Lebensfreude, birgt aber auch melancholische und tragische Elemente. Doch verstanden wird sie alleweil – vom Herzen.
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